Das Internet, unendliche Weiten.

Wir schreiben das Jahr 2008. Das Jahr, in dem eine heftige Krise alles in meinem Leben durcheinanderwirbelt. Ich breche alte Brücken ab und baue meine Selbstständigkeit neu auf. Hinfallen, wieder aufstehen, Staub von der Kleidung klopfen, Nase in den Wind und weitergehen. Da kann ich es überhaupt nicht gebrauchen, im Internet an unpassender Stelle zitiert zu werden.

Wie alles anfing

Wer meinen Namen googelte, fand mich auf Esoterikseiten zwischen Engeln und Dämonen, zwischen Weltverbesserern und Verschwörungstheoretikern. Dort wollte ich nicht stehen. Das musste raus. Aber das ist, wie sich herausstellte, gar nicht so einfach. Die einen reagierten nicht auf meine freundliche Mail, ich musste erst mit rechtlichen Schritten drohen. Andere löschten den Beitrag oder nahmen zumindest meinen Namen raus. Damit kann ich leben.

Ich stand unter der Dusche als mir folgender Gedanke zum ersten Mal kam: Wenn es für mich als Lebende schon so schwer ist meine Spuren im Internet zu löschen, wer kümmert sich eigentlich um die Daten derer, die gestorben sind? Da ich damals schon seit über zehn Jahren als Trauerrednerin und -begleiterin arbeitete, sowie zusätzlich Fortbildungen für Bestattungspersonal anbot, lag dieser Gedanke förmlich in der Luft und beamte mich auf einen Schlag in neue, unbekannte Welten.

„Da hast Du eine Marktlücke entdeckt!“

Ich recherchierte zum Thema. Den ersten Artikel fand ich im Frühjahr 2009 auf Spiegel Online. Es gab zum Teil schon Anbieter, die meisten davon allerdings in den USA. Das Thema Digitaler Nachlass hat unterschiedliche Aspekte, die ich mir genauer anschaute:

  1. Digitaler Nachlass: Was passiert mit verwaisten Nutzerprofilen in den Sozialen Medien? Wie erlangen Angehörige und Erben Kenntnis von kostenpflichtigen Abonnements, dem Kontostand bei PayPal, den nicht abgeschlossenen Auktionen auf Ebay, Guthaben in Form von Credits, Werte in Form von Spielfiguren in Online-Spielen etc. ?
  2. Hardware: Wie kann man die Hürde Passwortschutz nehmen? Wer räumt den Rechner eines Verstorbenen auf? Wie können wichtige Daten vom „Datenmüll“ getrennt und gesichert werden? Wer versteht sich auf eine sichere Datenlöschung, wenn das Gerät verkauft oder weiter genutzt werden soll?
  3. Reputation/ Der gute Ruf im Internet: Welche Einträge werden im Internet gefunden, wenn man eine bestimmte Person/ ein Unternehmen recherchiert?
  4. Vorsorge für den digitalen Nachlass: Wie kann ein Internetnutzer schon zu Lebzeiten dafür sorgen, dass seine Wünsche für den Umgang mit seinem eigenen digitalen Nachlass später auch umgesetzt werden? Wer soll Datenerbe sein? Wie kann sichergestellt werden, dass bestimmte Accounts für die Hinterbliebenen gar nicht sichtbar werden?

Ich habe mir Thema 2 (Nachlass) und 3 (Hardware) vorgenommen und ein Unternehmen gegründet. Zu Thema 3 (Reputation) gab es schon einige deutschsprachige Anbieter. Thema 4 (Vorsorge) lag noch in weiter Ferne. Schon der Name meines Unternehmens „Semno“ war Programm. Er leitet sich von griechisch „Semnos – würdevoll“ ab. Ich wollte nie eine rein technische Dienstleistung anbieten, mein Herz schlägt für Menschen in der Trauer. Welcher PC-Dienstleister kann angemessen mit einer Kundin umgehen, deren Tochter sich gerade das Leben genommen hat? Vor dem Tod und trauernden Menschen machen die meisten Menschen einen weiten Bogen.

So habe ich die Semno UG (haftungsbeschränkt) gegründet. Da ich die Erste sein wollte, hatte ich ständig einen enormen zeitlichen Druck im Nacken. Heute würde ich das sicher etwas langsamer angehen. Ich habe das ganze Startup-Gedöns durchlaufen: Businessplanwettbewerbe, Geschäftspartner suchen, Finanzierung, Teambildung, Bilanzierungspflicht, Best-Case-Szenario, Worst-Case-Szenario. Eine aufregende Zeit, eine arbeitsreiche Zeit.

Meine Erfahrung aus dieser Zeit: Die Kehrseite einer „Marktlücke“ ist, dass es keine Vorbilder gibt, keine erprobten Geschäftsmodelle, keine Erfahrungen anderer, von denen du lernen kannst. Manchmal hat es sich angefühlt, als wäre ich die einzige im All, verloren zwischen den Welten, Commander Birgit solo im Raumschiff. Andere Anbieter sind der Spur gefolgt. Inzwischen habe ich die Unternehmergesellschaft wieder aufgelöst. Ich biete die Dienstleistung, Rechner aufzuräumen und Internetkonten zu schließen, nicht mehr an. Für mich war es am Ende finanziell der Worst-Case. An Lebenserfahrung, Medienpräsenz und Netzwerkkontakten war es allerdings Best-Case. Es wurde zur Basis für mein jetziges Angebot.

 

Bei einem Vortrag zu Digital Leben – Digital Sterben (Foto: Salzburg Research)

Ich bin viel lieber Solopreneurin

Journalisten sind immer auf der Jagd nach neuen Themen. Digitaler Nachlass war vor fünf Jahren ein brandneues Thema und wird aktuell immer noch nachgefragt. Es schmeichelt natürlich, wenn ein Journalist am Telefon sagt „Frau Janetzky, wenn man zu dem Thema recherchiert, kommt man an ihnen nicht vorbei.“ Ich bin stolz auf meine Liste der Medienberichte. Leider kann ich von solchen Schmeicheleien meine Miete nicht bezahlen. Also stelle ich mir immer wieder die Frage: Wie kann ich aus meinem Status als Spezialistin für „Digitalen Nachlass“ und „Trauern im Internet“ Umsätze generieren.

Dann fiel mir ein Buch in die Hand, das mich sehr inspiriert hat und dem, wie ich arbeiten möchte, einen Namen gab: Solopreneur. Ich bin selbstständig, führe und steure mein Unternehmen alleine, bin persönlich unabhängig und gestalte (Online)produkte, die gekauft werden, egal wo ich gerade bin. Die Arbeit auf dem Friedhof und die Begleitung von Menschen in Trauerfeiern sind und bleiben für mich die Basis, die mich erden. Mein Leben bleibt offline interessant und verschwindet nicht im alles verschlingenden schwarzen Onlineloch. Ich höre Lebensgeschichten, stehe vor 300 Leuten wenn ein junger Mensch stirbt und die halbe Schule in der Trauerhalle sitzt. Doch neben meiner Selbständigkeit als freie Trauerrednerin und klassischen Beratungsprojekten an der Schnittstelle von Mensch, Tod und Internet, bedeutet Solopreneurin zu sein für mich, zusätzlich Angebote zu entwickeln, mit denen ich nicht nur Face-to-Face berate und begleite.

Das Internet, unendliche Weiten – auch für neue Geschäftsmodelle. Manchmal sitze ich da und die Konzepte und Sätze sprudeln so schnell, dass ich mit dem Aufschreiben nicht hinterherkomme. Ideen habe ich schon. Aber mit der Durchführung hapert es im Moment.

Wo trauern die jungen Leute und immer häufiger auch die älteren? Im Internet. Kein Jugendlicher geht in einen Schreibwarenladen und kauft eine Trauerkarte samt schwarzumrandeten Umschlag und schreibt handschriftlich Trauerkorrespondenz. Ich will die Trauer und die Trauernden im Internet sichtbar machen, aber nicht nur in Form von Flugzeugabstürzen, Amokläufen und verstorbenen Prominenten. Die meisten Menschen sterben immer noch zuhause, in der Klinik oder in einer Pflegeeinrichtung. Die meisten Menschen sind nicht prominent. Das Internet soll den Trauernden geschützte Räume bieten, frei von Rechthabern und Spammern. Die Verstorbenen müssen weder bedeutend noch eines besonderen grausamen Todes gestorben sein, um erinnert zu werden. „Friedhof ist tot, das Internet ist etwas Lebendiges“ sagt eine Mutter, die für ihren Sohn, der mit 13 Jahren an Krebs verstarb, eine Gedenkseite im Internet erstellte.

Meine Leidenschaft ist es, die Möglichkeiten von Online-Communities für Trauernde auszuloten. Ich will Angebote schaffen, um die etwas verstaubten Bildungsangebote im Bestattungsbereich mit ergänzenden Onlineangeboten kräftig zu durchlüften. Tod und Trauer dürfen, ja müssen in den Sozialen Medien sichtbar sein. Aber bitte mit Feingefühl und dem nötigen Schutz für das Andenken an Verstorbene und für die Hinterbliebenen.

Die richtige Balance finden

Mein Lebensthema ist immer wieder, die Balance zu finden und zu halten. Ein gesunder Ausgleich von Geben und Nehmen gehört bei einem sozialen Beruf genauso dazu, wie der Ausgleich von Trauer und Freude. Jetzt kommt auch noch die Balance zwischen Online und Offline dazu.

Der Weg liegt vor mir, der Rucksack ist gepackt, ich gehe Schritt für Schritt. Meine ersten digitalen Produkte entstehen:

  • Projekt 1: Mein Wissen und meine Erfahrung als Trauerrednerin gebe ich mit meinem Projekt trauerredner-ausbildung.de an die nächste Generation von Rednern weiter. Hier läuft gerade der Pilotkurs und es macht mir riesigen Spaß.
  • Projekt 2: Menschen in der Trauer mit Online-Angeboten zu begleiten, braucht noch etwas anderes als die persönliche Begleitung. Dafür mache ich selbst gerade eine Fortbildung zur Online-Beraterin nach den Richtlinien der deutschen Gesellschaft für Online-Beratung (DGOB). Später wird das unter trauerbegleitung.online zu finden sein.
  • Projekt 3: Unter digitale-vorsorge.de entsteht gerade ein Angebot, wie Menschen zu Lebzeiten für ihren digitalen Nachlass vorsorgen können.

Es fühlt sich an, als würde ich ankommen mit meinem Herzensthema und alles was ich bisher gemacht habe, alle Erfahrungen und Kompetenzen, alles was ich gerne mache, fließen mit ein in mein neues Dasein als Solopreneurin.

Fünf Jahre intensiver Arbeit liegen hinter mir. Jetzt wäre im Sinne der oben angedachten Balance mal eine ausgedehnte Erholung dran. Nur, einfach Herumsitzen kann ich nicht, Strandliegerei ist mir ein Graus. Deshalb plane ich, um dem schmuddeligen deutschen Winter zu entgehen,  einige Wochen Aufenthalt an einem Ort , an dem es einen der tollen, neu entstehenden Coworking-Spaces für Internetarbeiter gibt, um dort in Ruhe meine Online-Angebote weiter zu entwickeln.

 

Die auf dem Bild bin (noch) nicht ich (Foto: danr13 – fotolia.de)

Mein Platz an der Sonne – Australien / Teneriffa/ Bali – wo immer genau das dann sein wird, wartet auf mich. Und vielleicht treffe ich dort meine Ausbildungsteilnehmer, meine Trauernden, meine digital Vorsorgenden, die ebenfalls in der Sonne an ihren Rechnern sitzen und es sich gut gehen lassen. Der Tod ist traurig genug. Warum nicht die Füße ins Wasser halten und das Farbenspiel am Horizont bestaunen, wenn die Sonne im Meer versinkt. Dann einen Spaziergang über den Strand machen, über mir der Open-Space, die unendliche Weite des Weltraums, in mir eine Welt von Träumen, Plänen und Ideen. Na dann, volle Kraft voraus, mit Warp-Geschwindigkeit!

2 Kommentare auf “Das Internet, unendliche Weiten.”

  1. Magdalena sagt:

    Liebe Birgit,
    schön von dir zu lesen und dich und deine Visionen zu entdecken.
    Danke für deine informative page, gefällt mir gut.
    Ich lernte dich auf einem Seminar mit Petra Hugo kennen.
    Deine Ideen, deine Gedanken und deine Ziele motivieren mich Birgit.
    Ich bleibe mit dir via Internet in Kontakt und
    grüße dich herzlich.
    Magdalena

    • Birgit Aurelia Janetzky sagt:

      Liebe Magdalena,
      was für eine Überraschung. Danke für diese schöne Rückmeldung. Wir bleiben in Kontakt,
      herzliche Grüße,
      Birgit

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